Trauerbegleitung: Vergangenheit bewahren, den Blick nach vorne richten
Es ist schmerzlich, einen geliebten Menschen zu verlieren. Trauerbegleitung, wie sie das Hamburg Leuchtfeuer Lotsenhaus anbietet, kann in solchen Fällen helfen, das Leben wieder zu ordnen.
Die Welt steht still, wenn die Trauer übernimmt. An den Alltag ist kaum zu denken. Trauer ist individuell – genau wie der Umgang damit. Denn dieses Gefühl kennt kein typisches Schema, kein universelles Gegenmittel oder gar ein Ablaufdatum. Das hat auch Andrea R. erfahren. Sie hat die Trauerbegleitung im Lotsenhaus von Hamburg Leuchtfeuer in Anspruch genommen. Im Interview berichtet sie, von ihren Erfahrungen.
Frau R., möchten Sie sich kurz vorstellen?
Ich bin Anfang 60, ich arbeite als Ärztin. Der intensive Umgang mit Menschen, beruflich und privat, ist ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Mein Mann ist im Jahr 2020 gestorben. Wir haben mehrere Jahrzehnte mit- und füreinander gelebt.
Was war der Auslöser dafür, dass Sie zur Trauerbegleitung ins Hamburg Leuchtfeuer Lotsenhaus gekommen sind?
Obwohl seit dem Tod meines Mannes fast ein Jahr vergangen war und ich umgeben bin von Familie und Freunden, die sich mir in wunderbarer Weise zuwenden, wurde meine Verfassung eher schlechter als besser. Ich hatte das Bedürfnis nach völligem Rückzug, das Funktionieren im Alltag wurde immer schwieriger. Ich hatte den Eindruck, die Kontrolle über mich selbst und mein Leben zu verlieren. Ein Bekannter, mit dem ich darüber sprach, hat mich ermutigt, eine professionelle Begleitung zu suchen – ein Schritt, den ich selbst schon erwogen hatte. Er hat den Kontakt zu Frau Friedl hergestellt, wofür ich unendlich dankbar bin.
Wie erleben Sie die Gespräche und wie helfen sie Ihnen im Alltag, bzw. im Umgang mit dem Verlust?
Zwischen Gesprächen im privaten Umfeld und Gesprächen in der Trauerbegleitung liegen große Unterschiede, die ich als sehr hilfreich empfinde:
Es werden Zeiten verabredet, die ausschließlich dazu dienen, über meine eigene Verfassung sprechen zu dürfen. Im privaten Kreis muss sich ein solches Gespräch ergeben.
Die Gesprächspartner*in ist ein außenstehender Mensch. Mit Abstand und ohne Vorkenntnisse zu meiner Person, den Geschehnissen, meinem Mann und meinem bisherigen Leben in Zweisamkeit. Ich darf im Gespräch ausholen, zurückgehen in die Vergangenheit, mich wiederholen. Etwas, das sich mit Freunden nicht unbedingt anbietet, sich vielleicht – im eigenen Empfinden – sogar verbietet. Durch das Gespräch mit einer Außenstehenden entstehen neue Sichtweisen.
Der wesentlichste Unterschied liegt aber wohl im Professionellen. Ich darf mit einem Menschen sprechen, der gelernt und über Jahre Erfahrung darin gesammelt hat, mit Trauer umzugehen. Erfahrung, die die meisten von uns nicht haben und nur schwer erlangen können, denn auch wenn wir schon mehrfach in Trauer geraten sind oder waren, ist jeder Trauerfall anders.
Wenn ich mit einer professionellen Trauerbegleiter*in spreche, begegnet mir kein Stocken, weil mein Gegenüber nicht weiß, wie er oder sie helfen kann, beziehungsweise was er oder sie sagen soll. Ich muss keine Angst haben, mein Gegenüber durch meine Verfassung traurig zu machen, oder zu belasten. Ich fühle mich in jeder Hinsicht unabhängig in dem, was ich bespreche und treffe auf eine besondere Art von Verständnis.
Haben sich Ihre Hoffnungen an die Gespräche in der Trauerbegleitung erfüllt und wenn ja, inwiefern?
Meine Hoffnung ist, Unterstützung zu finden auf der Suche nach einem Weg, mit dem Verlust, mir selbst und meinem Umfeld besser umzugehen und wieder Fuß zu fassen. Mein Ziel ist, den Blick in eine Zukunft wiederzufinden, obwohl er im Moment fokussiert ist auf die Vergangenheit und alles Verlorene. Ich möchte die Vergangenheit so gut es geht bewahren und trotzdem wieder Anschluss finden zum Jetzt. Der Weg zu diesem Ziel ist für mich ein langsamer, enorm kraftraubender Prozess, in dem es vorwärts geht, aber auch viele, unberechenbare Rückwärtsschritte gibt.
Die Gespräche sind in diesem Prozess eine große Unterstützung. Wenn ich an meiner Leistungsfähigkeit zweifle, beruhigt es mich, zu hören, dass „Trauer Schwerarbeit“ ist. Oder wenn ich das Gefühl habe, mich selbst nicht mehr einordnen zu können, zu hören, dass es gilt, „eine neue Identität zu finden“.
Es hilft mir auch, dass viele meiner Reaktionen, die ich selbst mindestens als „wunderlich“ empfinde, als „in der Trauer normal“ beurteilt werden. Ich werde entlastet von der eigenen und von außen erlebten Erwartung, dass nach einem Trauerjahr langsam wieder Normalität einkehren müsse.
In den Gesprächen empfinde ich keine Sorge, ermüdend zu wirken, wenn ich – meinem Bedürfnis entsprechend – immer wieder auf gleiche Themen zurückkomme.
Dies sind Beispiele dafür, wie die Gespräche sehr helfen, verlorene Orientierung wiederzufinden.
Wie nehmen Sie den Austausch mit Hannah Friedl und dem Lotsenhaus wahr?
Frau Friedl strahlt für mich sehr viel wohltuende Ruhe und Menschlichkeit aus. Ich habe Vertrauen und keine Hemmung vor völliger Offenheit. Ich fühle mich eingeladen und frei, über wirklich alles, was mich umtreibt, zu sprechen. Frau Friedl schafft in den Gesprächen ein Gleichgewicht zwischen warmherzigem Verständnis und professioneller Souveränität und ein Gleichgewicht zwischen pragmatischen Hinweisen und Gedankenanstößen, die mich weiterbringen.
Sie schafft es, wirre Emotionen zu ordnen und in einem prägnanten Satz zu bündeln. Sie findet bildhafte Vergleiche, die die Gefühle verständlicher machen. Ich kann mir keine hilfreichere Trauerbegleiterin vorstellen.
Das Lotsenhaus ist für mich vor allem die Institution, die mir das alles möglich macht. Die Gespräche fanden zunächst, bedingt durch die Coronabeschränkungen, telefonisch statt. Bis heute ist es bei dieser Art der Kommunikation geblieben, weil ich es mir so wünsche und wählen darf zwischen Telefon und Präsenz. Das, zum Beispiel, empfinde ich nicht als Selbstverständlichkeit und es zeigt, wie groß das Bemühen ist, auf die Bedürfnisse der Hilfesuchenden einzugehen.
Frau Friedl und das Lotsenhaus unterstützen mich in außergewöhnlicher Art und Weise in einer außergewöhnlich schweren Lebensphase. Dafür bin ich sehr dankbar!
Es liegt mir am Herzen, die Mitarbeiter*innen des Lotsenhauses von Hamburg Leuchtfeuer in dem, was sie tun, zu bestärken und Betroffene zu ermutigen, eine Trauerbegleitung wahrzunehmen, so wie ich selbst vor fast einem Jahr dazu ermutigt wurde.
Im Hamburg Leuchtfeuer Lotsenhaus wird die Trauerbegleitung vollständig aus Spenden finanziert, um möglichst allen Menschen den Zugang dazu zu ermöglichen. Wenn Sie die Arbeit finanziell unterstützen möchten, können Sie dies hier tun.
Mehr Informationen zur Arbeit des Lotsenhauses in den Bereichen Bestattung, Bildung und Trauerbegleitung finden Sie hier.