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AUFBRUCH – Teil 4: Mit HIV (weiter)leben

Das Team von Hamburg Leuchtfeuer Aufwind berät und begleitet Menschen, die mit HIV oder Aids leben. Wie vielfältig sich die Krankheit auswirken kann, weiß Mikel seit 15 Jahren. Aufwind-Mitarbeiter Thomas Krieter begleitet ihn seit der Diagnose durch schlechte, aber auch gute Zeiten.

Das Jahr 2007 war für Mikel eine Zäsur: seine HIV-Diagnose stellte sein gewohntes Leben grundlegend auf den Kopf. „Mein Partner starb sechs Jahre vor meiner Diagnose an Aids. Er steckte mich zu einem Zeitpunkt an, als wir beide noch nichts von seiner Krankheit wussten“, sagt er. Anfangs waren die Tests noch negativ, erst nach einigen Symptomen und weiteren umfänglichen Tests wurde die Infektion beim heute 48-Jährigen festgestellt. Seitdem nimmt er das Beratungs- und Begleitungsangebot von Aufwind wahr. Das gibt es seit mittlerweile 27 Jahren und richtet sich vorrangig an Menschen mit HIV und Aids, aber auch an Menschen, die von einer anderen chronischen Erkrankung betroffen sind.

Mikel bei Aufwind. Hier findet er Unterstützung für sein Leben mit HIV.

Mikel bei Aufwind.

Sozialarbeiter Thomas Krieter arbeitet seit 1999 bei Aufwind und betreut Mikel seit 2008. Damals, beim ersten Kennenlernen, kam er sogar persönlich bei Mikels Mutter vorbei, da es Mikel so schlecht ging. Thomas wurde so zum ständigen Begleiter im Alltag. „Aufwind hilft mir sehr, etwa beim Gang zu den Institutionen und Behörden. Besonders hilfreich ist die flexible und empathische Einsatzbereitschaft von Thomas und den anderen Betreuer*innen“, freut sich Mikel.

Der Stigmatisierung entgegnen

Nach der Diagnose konnte Mikel nicht mehr wie gewohnt arbeiten, musste zwangsweise in Frührente gehen und lebt seitdem von Hartz IV. Die Krankheit bringt daher nicht nur gesundheitliche Probleme mit sich. Viele Kontakte im Freundeskreis wurden von seinen Bekannten und auch von ihm selbst eingestellt, um sich und andere vor den Vorurteilen gegen HIV-Infizierte und Hartz-IV-Empfänger zu schützen. Dieser Wunsch, sich selbst und andere zu schützen, trug zu seiner sozialen Isolation bei. Auch die Sicherung der finanziellen Grundlagen ist oft herausfordernd, etwa beim Kontakt mit Ämtern, komplizierten Berechnungen von finanziellen Ansprüchen und Bescheiden in Behördendeutsch: „Der Umgang mit den Behörden ist für mich teilweise extrem schwierig. Ich bin viel am Rotieren und muss um Anerkennung kämpfen,“ berichtet Mikel, der froh ist, das Aufwind in diesen Phasen verlässlich an seiner Seite ist.

„Jeder Fall ist anders.“

Ein Problem aus Mikels Sicht: man sieht ihm seine Erkrankung und die physischen wie psychischen Nebenwirkungen der Medikamente nicht an – und doch wirkt sich die Erkrankung stark auf seine Arbeitsfähigkeit aus. „HIV wird noch immer bagatellisiert. Oft wird davon ausgegangen, dass ich dank der Einnahme von Medikamenten wieder voll im Leben stehe und einfach arbeiten gehen kann.“ Doch die Nebenwirkungen können langfristig körperlich und psychisch so stark sein, dass sie die Arbeitsfähigkeit wieder einschränken. „Jeder Fall ist anders, aber auf individuelle Bedürfnisse wird bei der finanziellen Existenzsicherung leider immer noch wenig Rücksicht genommen. Das ist gerade in Phasen, in denen es mir schlecht geht, eine große Belastung.“

Thomas Krieter im Gespräch mit seiner Kollegin Nicola LeMouillour.

Thomas Krieter im Gespräch mit seiner Kollegin Nicola LeMouillour.

Auch Dank der Beratung von Aufwind und der persönlichen Betreuung durch Thomas kann Mikel den bürokratischen Aufwand trotz Krankheit letztendlich stemmen. „Wenn bei den Behördenterminen jemand fachlich versiertes von Aufwind dabei ist, geht man anders mit mir um. Aber manche Betroffene, die nicht so eine stabile Begleitung haben wie ich, fallen dann auch hinten runter. Denn HIV und Jobverlust zusammen bedeuten für viele einen völligen Kontrollverlust über das eigene Leben und das wiegt schwer.“

Ähnlich kompliziert ist für Mikel die Jobsuche: Vor der Diagnose arbeitete der passionierte Comic-Fan im Marketing-Bereich. Gerne möchte er trotz der gesundheitlichen Herausforderungen wieder in die Branche zurückkehren. Als er nach ein paar Jahren die Krankheit halbwegs im Griff hatte und wieder beruflichen Anschluss suchte, „wollte mich keine Firma einstellen – trotz meiner langen Berufserfahrung und intensiver Bemühungen und Wiedereingliederungsmaßnahmen durch das Jobcenter.“ Bis heute ist er auf der Suche nach einer Arbeitsstelle. Aber auch im sozialen Umfeld sowie bei Ärzten stößt er immer noch auf Unwissenheit, Vorurteile und fehlendes Einfühlungsvermögen: „Niemand außer HIV-Positiven weiß, wie sich diese Diagnose und Krankheit wirklich anfühlt.“

Mit HIV (weiter)leben

Medizinisch gesehen gab es in den vergangenen 20 Jahren wichtige Fortschritte. Dank einer modernen Kombinationstherapie können Betroffene heutzutage ein relativ normales Leben mit HIV führen. Mikel ist Teil der HIV-Generation, die als erstes mit speziellen Medikamenten behandelt wurde. Diese hatten anfangs allerdings heftige Nebenwirkungen, wie Entzündungen am Körper oder in den inneren Organen bis hin zu Tumoren. Auch psychische Folgen, wie Depressionen oder Probleme mit der Impulskontrolle und der Zufriedenheit können auftreten. „Diese Therapie hilft mir sehr, aber dazu gehört halt auch eine Chemiekeule, die den Körper ganz schön mitnehmen kann. Die möglichen Nebenwirkungen werden eben oft unterschätzt, gerade, wenn man schon lange behandelt wird“, berichtet Mikel und sagt weiter: „Jeder Mensch reagiert anders darauf und geht unterschiedlich mit der Erkrankung und der Behandlung um. Daher brauchen wir in der Betreuung bei Behörden, beim Arzt oder im sozialen Umfeld auch Verständnis für diese individuellen Einzelfälle.“

Mikel in einem Beratungsgespräch bei Aufwind.

Mikel in einem Beratungsgespräch bei Aufwind.

Heute, 15 Jahre nach der Diagnose, geht es Mikel den Umständen entsprechend besser. So konnte die nötige Betreuungszeit immer weiter reduziert werden. Er hat gelernt, mit HIV zu leben, auch wenn sie viele Probleme mit sich bringt. Seit über einem Jahr wohnt Mikel bei Festland von Hamburg Leuchtfeuer, zusammen mit anderen jungen Menschen mit chronischen Erkrankungen. Eine große Erleichterung: die Beratungsstelle von Aufwind liegt nur eine Haustür weiter im gleichen Gebäude, direkt nebenan in der Baakenallee 60. „Der Draht zu Aufwind ist seitdem sehr kurz. Die neue Wohnung und die Zusammenarbeit mit Thomas und dem Team haben meine Lebensqualität definitiv verbessert und nehmen mir viel Last von den Schultern.“

 

Sie interessieren sich für die psychosoziale Begleitung von AUFWIND? Dann melden Sie sich unter 040-38611055 oder unter aufwind@hamburg-leuchtfeuer.de.